Fazit
Nehmen wir es zu Anfang vorweg, eine großartige Veranstaltung war es, an der wir Whiskygraphen zum Thema Lost Distilleries und Lost Malts im Brühler Whiskyhaus unter der Leitung von Dirk Lunken teilnehmen konnten.
Gestartet hatten wir den Spaß mittags mit einem Ausflug nach Gelsdorf, wo am Tag der offenen Höfe die unterschiedlichen landwirtschaftlichen Betriebe ihre Arbeit, ihr Wirken, ihre Kunst, ihr Handwerk und ihre Produkte vorgestellt haben. Genau das richtige für die ganze Familie und ideal vor einem Whiskytasting. Erst ein Bioapfeltasting in rinderdunggeschwängerter Luft, unzählige andere frische Leckerbissen und dann ging es auf nach Brühl.
Das Brühler Whiskyhaus
Wir kamen etwas vor der Zeit an und so gab es noch Gelegenheit die anderen Teilnehmer, ich schätze insgesamt zwischen 25 und 30, zu begrüßen und das Brühler Whiskyhaus kennenzulernen. Ich bin überrascht, denn ich habe da keinen einzigen guten Whisky gesehen. Na gut, überrascht hat mich das nicht. Aber Hagen hat mich doch erfolgreich an den wertvollen Stolperfallen vorbeigeführt und mir die außerordentlich gut gefüllten Regale beschrieben. Der überwiegende Teil scheint von Ikea zu sein.
In den Tasting Raum
Wir begaben uns in die stilvollen und gut vorbereiteten Räumlichkeiten, in welchem das Tasting stattfindet, wo uns Marco Bonn, der Inhaber des Brühler Whiskyhauses herzlich begrüßte. Und schon startete die Einführung von Dirk Lunken aus der Maltkanzlei, der von Beginn an keinen Zweifel an seinem beeindruckenden Fachwissen aufkommen ließ. Theorie und Praxis sympathisch vereint in einer eloquent-humorvollen Persönlichkeit, die gerne ihre reichhaltigen Erfahrungen aus der Whiskywelt teilt. Optimal.
Whiskykompetenz
Ohnehin war für mich, auch von den Gästen her, die anwesende Menge an geballter Whiskykompetenz sehr beeindruckend. Ein Abend, den man mit voller Berechtigung die perfekte Mischung aus Information, Humor und zwangloser Geselligkeit nennen darf, nahm seinen Lauf.
Einführungen zum Schließen von Distillen
Dirk verwies in seinen allgemeinen Einführungen auf verschiedenste Aspekte, die er in der Folge des Tastings vertieft hat. Zum einen war da die Grundfrage, warum eine Distille geschlossen wird. Und hier muss man konstatieren, dass die Gründe prinzipiell sehr vielfältig sein können und nicht selten auch in einem größeren Zusammenhang gesehen werden müssen. Konzernstrukturen, sich ändernde Gesetze und Regularien, Modeerscheinungen und variierende Bedingungen des Weltmarktes sind nur wenige der möglichen Teilursachen für die Schließung einer Brennerei.
Das Lineup
Zum anderen war da die Hinführung zum Line-Up, spielerisch gestaltet mit der Frage nach der Zuordnung der Distillen zu den Whiskyregionen Schottlands. Die Auswahl der Whiskys wurde erläutert und evident wurde, warum beispielsweise Islay nicht vertreten sein konnte. Port Ellen hätte den Preisrahmen einfach gesprengt. Ziel war es, mit den Abfüllungen den typischen Brennereicharakter in den Vordergrund zu bringen und zu unterstreichen.
75 Lost Distilleries
Klar wurde auch, dass es rund 75 geschlossene Distillen in Schottland gibt, so dass ein Überblick über diese doch beachtliche Landschaft früherer Distillen und Abfüllungen nicht nur recht kosten-, sondern auch zeitintensiv ausfallen muss. Wir freuten uns auf einen kleinen ersten Einblick.
Bladnoch
Der erste Vertreter des Lebenswassers war ein Bladnoch. Die südlichste Brennerei Schottlands ist zwar streng genommen noch aktiv, hat aber in der langen Historie viele Perioden der Stilllegung erlebt und zahlreiche Eigentümerwechsel durchgemacht. Zuletzt 2015, als der australische Unternehmer David Prior die Brennerei übernahm.
Rahmendaten
Der Lost Malt stammte aus dem Jahr 1988, als United Distillers Inhaber von Bladnoch war. Er ist mit 43% abgefüllt, nachdem er 12 Jahre in Bourbonfässern hatte lagern dürfen. Abfüller war Signatory Vintage, ein Akteur auf dem Whiskymarkt, der vollkommen zurecht ein hohes Ansehen unter Whiskyliebhabern genießt.
Geschmack
Der Lowländer wirkte frisch, fruchtig, floral und brachte eine grasige Note mit und zwar eine solche von eher frischem, grünem Gras. Ich war bei diesem Malt, der nicht ganz meinen Vorlieben entspricht, dennoch durchaus eingenommen von der Aromendichte. Für 43% kommen die Aromen sehr gut raus, auch wenn es sich nicht gerade um ein sehr komplexes Geschehen handelt.
Imperial
Nach dem Einstieg über den Bladnoch, der insgesamt eher kritisch, auch wegen seines waldpilzartigen Abgangs und Nachklangs, der auf etwas Kork schließen ließ, betrachtet wurde, kam auch schon der erste echte Knaller. Ein Imperial hatte den Weg in unser Glas gefunden. Er stammte aus dem Jahr 1995 und wurde von dem niederländischen Abfüller Van Wees in der The Ultimate Serie nach 20 Jahren Reifung in einem Bourbon Hogshead mit 46% abgefüllt.
Geschmack
Die bourbonassoziierten Noten von Karamell und Vanille kamen bei diesem Malt hervorragend zur Geltung, flankierten eine dezente Fruchtigkeit und waren eingebunden in ein sehr feines und doch komplexes Wechselspiel unterschiedlicher Geruchs- und Geschmacksstoffe. Der Whisky erfreute sich allgemein großer Zustimmung, wurde für die Mehrheit Gewinner des abends und bringt unzweifelhaft die beste Preisleistung mit.
Weiteres zu Imperial
Die früher in der Speyside angesiedelte Brennerei befand sich zum Zeitpunkt ihrer Schließung auf dem Höhepunkt der Whisky-Depression im Jahr 2000 im Besitz von Pernod Ricard. Von Imperial gab es lediglich eine 15-jährige Originalabfüllung. Ansonsten kamen eine Reihe von unabhängigen Abfüllungen auf den Markt, die teilweise noch gut erhältlich sind und der Großteil des produzierten Malts wurde zum blenden verwendet. So stellte er die Grundlage und den Hauptbestandteil der Blends von Teacher’s und Ballantine’s dar.
Glenesk
Auf den Imperial folgte der Sieger des abends für mich, ein 24-jähriger Glenesk aus dem Jahr 1984. Abgefüllt wurde er von Gordon&MacPhail mit 43% aus einem Refill Sherry Hogshead. Auch hier war ich beeindruckt von den intensiven Aromen, die in einer erstaunlichen Komplexität und fein verwoben zu entdecken waren. Fruchtig und süß, mit einer leicht angedeuteten Kaffeebitterkeit und Eichenaromen hat mich der Malt überzeugen und für sich einnehmen können.
Mehr zu Glenesk
Die in den Highlands lokalisierte Distille wurde in seiner Geschichte mehrfach von der Produktion von Single Malt auf Grain Whisky umgestellt, verkauft, stillgelegt und wieder in Betrieb genommen. Ähnlich wie Port Ellen verfügte Glenesk über eine eigene Mälzerei, die nach der Schließung 1985 und dem teilweisen Abriss der Gebäude im Jahr 1996 ausgebaut worden ist.
Vat 69
Glenesk war ein wichtiger Bestandteil des Blends Vat 69 von William Sanderson. In dieser Form hat Glenesk durchaus Whiskygeschichte geschrieben. William Sanderson hatte sich entschlossen einen Blend zu produzieren, dazu über 100 verschiedene Blends hergestellt und unterschiedliche Expertenmeinungen eingeholt. Am besten gefiel der Whisky aus dem Bottich (Vat) mit der Nummer 69. Sein Sohn konnte Sanderson überzeugen den Blend in Flaschen zu verkaufen und so wurde der Vat 69 einer der ersten Whiskys, die in Flaschen verkauft wurden.
Glencraig
Als letzter Whisky vor der Pause landete ein Glencraig aus dem Jahr 1976 in unseren Gläsern. Er wurde ebenfalls von Signatory Vintage abgefüllt und kam nach 36 Jahren mit 47,1 % 2013 nach Bourbonfasslagerung in die Flasche. Auch hier kamen die Bourbonnoten schön zur Geltung und eine sehr intensive Geschmackserfahrung war zu machen. Auch die Nase war wunderbar vielschichtig, aber mir war der Abgang hier etwas zu eindimensional und kurz. Allerdings kam der Malt insgesamt auch sehr gut an bei den Teilnehmern.
Mehr zu Glencraig
Glencraig war eine eher kurze praktische Erfahrung von Glenburgie mit den Lomond Stills. Das Brennen mit Lomond Stills steht zwischen dem kontinuierlichen und diskontinuierlichen Brennen und wird derzeit nur noch bei Scappa und Loch Lomond praktiziert. Entsprechend wenige Abfüllungen gab und gibt es von Glencraig und die Probe war ein überaus interessantes Erlebnis.
Pause
Die Pause bot Gelegenheit zur Stärkung. Marco hatte den Grill angeworfen und einen mediterranen Nudelsalat gezaubert. Nach dem Essen, einigen netten Gesprächen und etwas frischer Luft auf der tollen Dachterrasse ging es dann weiter.
Dumbarton
Den Auftakt zur zweiten Runde machte ein Dumbarton. Es handelt sich um einen 30-jährigen Grain Whisky, abgefüllt von Meadowside Blending in der Reihe The Grainman. Er stammt aus einem Refill Bourbonfass, kam mit 52,2 % in die Flasche und wurde 1987 destilliert. Er war erwartungsgemäß süß und gefiel mir gut, wobei das ganz sicher nicht für alle Teilnehmer zutrifft. Die leichte Klebstoffnote in der Nase und noch immer dezent im Geschmack trübte den Eindruck ein wenig, störte mich aber nicht weiter.
Grain Whiskys
Wir haben schon eine Reihe verschiedener alter Grain Whiskys verkostet und einige davon haben uns doch, auch wenn sie von vielen Whiskyliebhabern eher kritisch betrachtet werden, wunderbar geschmeckt. Der Dumbarton war sicher nicht der beste unter diesen, aber doch auch eine interessante, vor allem sehr süße Erfahrung, die es wert war, gemacht zu werden.
Pittyvaich
Weiter ging es mit einem Pittyvaich, der einzigen Orginalabfüllung des abends. Er war 25 Jahre, wurde 1989 abgefüllt, hatte 49,9 % und kam aus Refill Bourbon Hogsheads. Er war fruchtig, süß und ein wenig floral. Meinen Geschmack hat dieser Whisky nicht ganz getroffen, weil er weder die Bourbonaromen gut zur Geltung bringt, noch sehr komplex erschien. Dennoch ganz sicher kein schlechter Whisky und ebenfalls eine spannende Erfahrung.
Mehr zu Pittyvaich
Pittyvaich ist eine als Schwesterdistille der Dufftown-Brennerei in der Speyside gegründete Whiskybrennerei, in welcher Single Malts für das Blending hergestellt wurden. Sie nahm 1975 den Betrieb auf, der bereits 1993 wieder eingestellt worden ist. Somit ist dieser Whisky älter als die aktive Phase der Brennerei.
Littlemill
Es folgte wider ein großes Highlight, für mich Platz 2 an diesem Abend, ein Littlemill von 1989. Abgefüllt worden war der Malt
aus den Lowlands für Feinkost Reifferscheid in der Romantic Rhine Collection (RRC). Mit 21 Jahren und 55,1% war der Littlemill aus Bourbon Hogsheads in die Flasche gekommen. Von der Flasche ging es in mein Glas und von dort in Nase und Mund, um mich dort durch die Verbindung von süßen Bourbonnoten von Karamell, Vanille und Schokolade mit dem typisch floralen Brennereicharakter von nassem Heu zu begeistern.
Rheinromantik
Zu erfahren, dass es eine Serie zu Ehren der Rheinromantik von Reifferscheid gibt, hat mich sehr gefreut. Reifferscheid genießt als Abfüller und Händler einen fast schon legendären Ruf, unnütz darüber zu schreiben. Die Rheinromantik allerdings ist hingegen zu unrecht wenig beachtet. Die Romantik selber hat sich in allen Künsten ausgedrückt. Über die Art und Weise, wie sie das in der Literatur gemacht hat, hat Rüdiger Safranski ein großartiges Buch geschrieben. Bedeutende Künstler aus Malerei, Musik und Literatur haben fundamentale kulturelle Erzeugnisse im Rahmen der Rheinromantik hervorgebracht, beispielsweise Richard Wagner den Ring der Nibelungen.
Schloss Stolzenfels
In Koblenz steht mit dem Schloss Stolzenfels und dem zugehörigen Schlossgarten das wohl herausragenste Werk der Rheinromantik. Mit einigen Freunden war ich vor einigen Jahren einer Einladung eines Verbandes von Landschaftsarchitekten zu deren Jubiläum gefolgt. Ein romantischer Spaziergang führte uns durch den Garten bis nach oben auf das Schloss. Schauspieler des Stadttheaters Koblenz trugen an ausgewählten Stationen Gedichte aus der Romantik vor, Musiker der Philharmonie spielten einige romantische Stücke. Am Schloss folgte ein interessanter und kompetenter Vortrag über den Schlossgarten und seine Architektur. Eine perfekte Mischung von Kunst und Information. Einziges Manko an diesem Tag: es gab Sekt und keinen Whisky zur Begrüßung.
Caperdonich
Nach dem Littlemill, der mich gedanklich, aber auch geschmacklich wieder in die Rheinromantik entführt hat, gab es den letzten Whisky des gelungenen Tastings, einen Caperdonich. Er wurde 1992 destilliert und 20 Jahre später von The Whisky Agency mit 60,9 % aus Refill Hogsheads abgefüllt. Ein außerordentlich intensiver Whisky, dem ich tatsächlich einige Tropfen Wasser beigeben musste. Auch der Speysider von Pernod Ricard kam allgemein gut an.
Eine mysteriöse Pipeline
1897 war Caperdonich von James Grant gegenüber von Glen Grant als Glen Grant No. 2 gegründet worden. Zwischen den beiden Distillen verlief eine Pipeline, von der bis heute unklar ist, was in ihr gelaufen ist. Glen Grant No. 2 wurde 1902 geschlossen und erst nach dem Erwerb durch Glenlivet 1965 wieder unter dem Namen Caperdonich eröffnet. Später Ging sie an Seagram, 2001 an Pernod Ricard, die sie 2002 schlossen.
Ende des Tastings
Damit endete das außergewöhnlich interessante Tasting zu Abfüllungen, die so nicht mehr einfach zu bekommen sind. Was bleibt? Auf jeden Fall eine Menge seltener Geschmackserfahrungen. Überdies die Erkenntnis, dass ich Profis mag, die aus ihrer Profession keine Religion machen, diese mit genügend Humor und Information vermitteln können und dazu in der Lage sind, mit einem Hang zur Perfektion großartige Veranstaltungen auf die Beine stellen zu können. Dirk Lunken und Marco Bonn, ein wunderbarer Blend aus Könnern.
Zurück im Laden des Brühler Whiskyhauses
Im Anschluss an das themenbezogene Tasting ging es dann noch in Marcos Laden. Hier gab es Gelegenheit die ein oder andere offene Flasche zu probieren. Da konnte ich doch einige offene Lücken schließen. Klar wurde auch, dass sich ein Besuch dort auch ohne Tasting lohnt. Auf dem Rückweg waren wir uns einig, ein toller Tag.
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