Sechs Whiskys, drei Brennereien und jede Menge Diskussionen – ein Online-Tasting mit Charakter, Chaos und Charme.
Phil hatte eingeladen – und die Campbeltown-Crew kam. Gemeinsam mit ein paar befreundeten Whisky-Nasen aus der Szene probierten wir sechs Drams aus der kleinsten, aber vielleicht charakterstärksten Whisky-Region Schottlands.
Von Hazelburn bis Glen Scotia – hier war alles dabei, was Campbeltown so unverwechselbar macht: Öl, Salz, Rauch und Seele.
Sample #1 – Hazelburn 13 Jahre (48,6 %, 75 % ex-Bourbon, 25 % ex-Sherry)
Den Auftakt unseres Campbeltown-Blind-Tastings machte ein Whisky, der so gar nicht nach dem klang, was er war.
„Glen Scotia, Festivalabfüllung vielleicht?“, rief einer in die Runde. „Oder irgendwas mit Rumfass?“ – und wieder lag Campbeltown irgendwo zwischen Ahnung und Ahnungslosigkeit.
Was die Nase anging, war sie anfangs recht frisch und lebendig: Anis, Menthol und Gletschereis-Bonbon schwebten über allem. Doch unter dieser kühlen Brise lauerte etwas leicht Schmutziges, fast metallisch-erdiges, das für einige sofort nach Glen Scotia roch – andere wiederum blieben bei „irgendwas Ungetorftes, aber dreckig“.
Mit zunehmender Luft zeigten sich Zitrusschalen, Orange, Grapefruit und ein Hauch Sommerhonig, der an Akazienblüte erinnerte. Der Whisky wirkte jugendlich und hell, wurde aber im Verlauf runder und sanfter.
Die Vermutungen reichten von einem Bourbonfass bis hin zu einem Islay-Finish, Altersangaben zwischen 6 und 9 Jahren machten die Runde – und natürlich tippte irgendwer auf Glen Scotia.
Doch die Wahrheit war deutlich älter und eleganter:
Hazelburn 13 Jahre, dreifach destilliert, ungetorft und dennoch mit diesem unverkennbaren Springbank-Schmutz, der selbst nach drei Läufen durch die Brennblasen nicht vollständig verschwindet.
Eine Kombination aus 75 % Bourbon- und 25 % Sherryfässern, die Frische, Cremigkeit und subtile Würze wunderbar balanciert. Ein Whisky, der zeigt, dass Campbeltown selbst ohne Torf nicht brav wird – sondern Charakter bleibt.
Hintergrund:
Hazelburn ist die ungetorfte Linie der Springbank-Distillery – der stille Intellektuelle im Familienbetrieb.
Dreifach destilliert, erinnert er auf dem Papier an Lowland-Whiskys, hat aber im Glas weit mehr Substanz. Die leicht ölige Textur und die typischen „dirty notes“ stammen von der traditionell langsamen Produktion: eigenes Mälzen, lange Gärzeiten, altmodische Brennweise.
Der 13-jährige vereint die helle, fruchtige Eleganz der Bourbonfässer mit der Tiefgründigkeit eines Sherryanteils – eigensinnig, ehrlich, handwerklich.
Sample #2 – Springbank 15 Jahre (46 %, Sherry Casks)
Der zweite Dram des Abends kam deutlich dunkler ins Glas – und sofort wurde klar: Jetzt wird’s ernst.
„Madeira?“, „Süßwein?“, „definitiv irgendwas Sherry-artiges!“ – die Spekulationen starteten, bevor der Whisky überhaupt den Gaumen erreicht hatte.
Die Nase eröffnete mit Rauch, süßem Tabak, getrockneter Feige und einer Portion Kirschen – dicht, verführerisch und gleichzeitig irgendwie… dreckig.
Einer brachte es trocken auf den Punkt: „Riecht wie eine alte Fabrikhalle – aber geil.“
Am Gaumen dann rund, süß und warm, mit roten Beeren, Honig und einer Spur Ricola-Bonbon, die alles zusammenhielt.
Der Rauch war da, aber gut eingebunden – dieser typische Springbank-Dunst, der nicht vordergründig torfig ist, sondern wie ein Echo aus der Vergangenheit in jeder Pore hängt.
„Bin ich doof, oder ist der rauchig?“ – Nein. Du bist in Campbeltown.
Die Tipps gingen erstaunlich präzise in Richtung Springbank, Altersangaben um 15 Jahre lagen goldrichtig.
Am Ende war’s tatsächlich der Klassiker:
Springbank 15 Jahre, gereift in Sherryfässern – Maßstab für dunkle Campbeltown-Romantik.
Ein Whisky, der erdige Tiefe, süße Reife und schottische Werkstattschwüle verbindet – und das so souverän, dass man sich fragt, warum man ihn nicht öfter trinkt.
Hintergrund:
Springbank ist mehr als eine Brennerei – ein Symbol für Unabhängigkeit und Tradition.
Seit fünf Generationen in Familienbesitz produziert Springbank vom Malz bis zur Flasche alles selbst.
Der 15-jährige zeigt, wie Komplexität und Balance aussehen, wenn Handwerk über Kompromisse siegt.
Sample #3 – Springbank 7 Jahre (59,6 %, Fresh Bourbon)
Noch bevor jemand „Slàinte“ sagen konnte, brannte sich die erste Nase durch die Zoom-Leitung:
„Mullbinde! Puderzucker! ZUCKERWATTE!“ – ein medizinisch-süßer Start, der für kollektives Stirnrunzeln sorgte.
Dann kamen Ananas, Anis, etwas Mineralisches und Rosinen. Der Alkohol stach kräftig, aber nicht ungestüm – eher wie ein Jungspund, der zeigen will, dass er schon mit den Großen mithalten kann.
„Super ölig – pfeffrig – Glen Sotia Single Cask?“
„Irgendwas zwischen Glen Scotia und Hazelburn, aber saurer.“
Viele trafen den Kern: Bourbon Cask, ordentlich Umdrehungen, kein Finish nötig – reine Fass-Energie.
Springbank 7 Jahre Fresh Bourbon, Warehouse-Sample aus dem Cage mit 59,6 %, roh und ehrlich.
Ein Campbeltown im Rohzustand: jung, direkt, unpoliert – aber mit dieser köstlichen Mischung aus Süße, Salz, Öl und Pfeffer, die Springbank selbst im Teenageralter schon unverkennbar macht.
Hintergrund:
Springbank lässt seine Jungen sprechen. Kein Kühlfiltern, kein Färben, kein Schönreden.
Die „zweieinhalbfache“ Destillation ergibt die typische ölige, wachsige Textur – Alkohol präsent, aber geschmeidig eingebunden.
Zwischen Zuckerwatte und Metallwerkstatt – Campbeltown-Signatur pur.
Sample #4 – Kilkerran 9 Jahre (57,4 %, Calvados Cask)
Der vierte Dram war optisch schon ein kleiner Verführer: dunkler Bernstein, der im Glas langsam kreiste.
Die Nase? Dunkles Karamell, Lotus-Kekse, Biscoff, und dann dieser Satz: „Das riecht nach altem Möbelstück – aber gemütlich!“
Gelächter. Und ja: etwas Muffiges, aber im besten Sinne – wie in einer alten Westküche (und eben keine ostdeutsche!), in der gebrannte Mandeln und Nelken duften.
Dazu Schokolade mit Orange, Mon Chérie, ein Hauch Oloroso und etwas Apfeliges.
„Der schmeckt älter, als er ist“, meinte einer. „Aber hinten raus wird er kantig.“
Wieder Nicken. Nase top, Gaumen okay, der Fasscharakter doch ziemlich dominant.
Tipps: Kilkerran oder Springbank, 8–10 Jahre, Single Cask, Sherry oder Rotweinfinish.
Die Auflösung brachte das Schmunzeln:
Kilkerran 9 Jahre, Calvados Cask, 57,4 % – und plötzlich ergab alles Sinn.
Dieser Apfelhauch, diese Mischung aus Süße, Gebäck, alter Werkstatt und französischem Obstgarten – Apfelbrand im Campbeltown-Mantel.
Hintergrund:
Kilkerran ist die Marke der Glengyle Distillery, 2004 von J&A Mitchell (Springbank) wiederbelebt.
Während Springbank für das Grobe steht, verkörpert Kilkerran die neue Generation: experimentierfreudig, aber treu.
Der Calvados-Cask zeigt, wie gut Apfel und Malz harmonieren – Frucht, Würze, Säure, Staub.
Kilkerran beweist, dass Campbeltown gelernt hat, auf neue Art alt zu schmecken.
Sample #5 – Glen Scotia 8 Jahre (59,7 %, 1st Fill Bourbon Barrel)
Langsam wurde es wild in der Zoom-Runde. Fünf Drams intus, die Tastingsnotes wurden kreativer.
Und dann kam dieser hier: hellgolden, fast unschuldig – bis er die ersten Nasen traf.
„Vanille!“, „Gummiabrieb!“, „Birne!“, „Honig!“, „irgendwas matschig!“ – Schlag auf Schlag.
Ein paar hielten sich am Glas fest, andere an ihren Tastaturkürzeln.
Sommerhonig trifft auf Williams-Birne, dazu Apfel Granny Smith – frisch, knackig, leicht stechend.
Einige schrieben „Calvados?“ ins Chatfenster, andere „2nd Fill Bourbon“, und wieder andere einfach nur „GEIL“.
Der Kommentar des Abends:
„Das ist GlenGEIL! Äh… oder Glen Scotia, natürlich.“
Die Nase war ein Traum – süß, cremig, verführerisch, während der Gaumen weiß-pfeffrig und leicht rauchig nachlegte.
Man spürte die Jugend, aber auch Power: rund 60 %, doch erstaunlich gut eingebunden.
Glen Scotia 8 Jahre, 1st Fill Bourbon, 59,7 %, SMWS „Changes faster than a chameleon“.
Die übliche Namensbezeichnung der SMWS passt unseres Erachstens ausnahmsweise mal so gar nicht. Der Dram wechselte weder ständig die Farbe, noch den Geschmack, sondern war eigentlich ziemlich straight im Erlebnis.
Hintergrund:
Glen Scotia ist der wandelbare Nachbar – gegründet 1832, überlebte alle Höhen und Tiefen.
Heute steht die Brennerei für klare Bourbonfass-Profile, maritime Frische, feinen Rauch.
Diese Abfüllung fängt das perfekt ein: jung, kantig, direkt – ein Lehrling mit ölverschmierten Händen und Potential.
Sample #6 – Kilkerran 8 Jahre (58,1 %, Sherry Casks)
Der letzte Dram. In der Runde herrschte diese ganz besondere Stimmung: leicht übermütig, aber voll konzentriert – das große Finale stand an. Und wie das bei Blind Tastings so ist, hat natürlich jeder auf den Longrow Red gewettet, bevor überhaupt jemand geschnuppert hatte.
Die Nase war ein Feuerwerk aus Umami und Sherry: Schinken, Speck, Salami, Menthol, Anis, Asche auf Karamell.
„Das ist Longrow, ich schwör’s!“ – „Oder halt Springbank. Oder Kilkerran. Campbeltown halt.“
Am Gaumen: Fruchtig, nussig, leicht trocken, mit Marzipan, dunklen Mandeln, etwas Weinigkeit und dieser Kilkerran-Erdigkeit, die an alte Holzspäne erinnert – auf die gute Art.
Kilkerran 8 Jahre Sherry Cask, 58,1 % – pure Glengyle-Power, ungeschminkt, charakterstark.
Ein Abschluss wie ein letzter Akkord auf einer alten E-Gitarre: laut, rau, perfekt unperfekt.
Hintergrund:
Während der Calvados-Kilkerran mit Frucht flirtet, zeigt der Sherry seine dunkle Seite.
Nicht süß, sondern ehrlich geröstet: alte Oloroso-Fässer, salzige Luft, ein Hauch Staub.
Kilkerran Sherry schafft Tiefe ohne Schwere – Mandeln, Malz, Abendsonne im Warehouse.
The Capital of Whisky – ein Abend in Campbeltown
Sechs Whiskys, sechs Geschichten – und eine Stadt, die in jeder davon mitschwang.
Campbeltown, einst mit über 30 Brennereien die „Hauptstadt des Whiskys“, hat heute nur noch drei: Springbank, Glen Scotia und Glengyle.
Was blieb, ist Haltung.
Phil hatte eingeladen, und die Runde war bunt: bekannte Instagram-Nasen, bekannte Gesichter aus Tasting-Runden – und diese Mischung aus Fachsimpelei und freundschaftlichem Frotzeln, die nur entsteht, wenn Menschen mit Leidenschaft trinken, statt nur zu verkosten.
Schon nach dem ersten Dram war klar: Das wird kein Quiz, sondern ein Spaziergang durch Campbeltowns DNA – zwischen Schmutz und Charme, Öl und Orange, Seeluft und Sherry.
Mit jedem Dram wuchs die Erkenntnis: Campbeltown ist kein Stil – es ist eine Haltung.
Handwerk statt Hochglanz, Mut statt Marketing, Charakter statt Konsens.
Am Ende blieb das Gefühl, als hätte man keine sechs Whiskys, sondern sechs Kapitel getrunken – Tradition, Trotz und Leidenschaft, begleitet vom Lachen einer Tasting-Runde, die irgendwo zwischen Fachgespräch und Freundschaftsbeweis pendelte.
„So. Und beim nächsten Mal machen wir das Ganze mit Islay.
Aber Campbeltown – dich werden wir so schnell nicht los.“

