Während die Erde sich 45 Mal um die Sonne drehte, schlummerten in einem Warehouse in der Benromach Distillery, am Rande der alten Marktstadt Forres in Schottland, ein paar Whiskyfässer vor sich hin und warteten darauf, in einer neuen, veränderten Welt abgefüllt zu werden. Im Jahr 1975 wurden diese Fässer befüllt. In Deutschland war zu dieser Zeit Helmut Schmidt Bundeskanzler. Deutscher Meister wurde Borussia Mönchengladbach mit dem Torschützenkönig Jupp Heynckes.
1975 – Ein Jahr wie jedes andere?
Auf deutschen Landstraßen wurde in diesem Jahr eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 100 km/h eingeführt. Ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen kann sich allerdings nicht durchsetzen. Eine angeregte Diskussion gibt es auch über die geplante Einführung der Anschnallpflicht im folgenden Jahr. Der Nutzen von Gurten steht außerfrage, trotzdem begegnen die Bundesbürger der Anschnallpflicht äußerst emotional und mit Misstrauen. Viele hatten offenbar Angst, bei einem Unfall ans Auto gefesselt zu sein, den Wagen vor allem bei einem Brand oder beim Fall ins Wasser nicht rechtzeitig verlassen zu können. Diese Art von Unfällen trat allerdings so selten auf, dass sie statistisch gar nicht erfasst sind. Anderen, so vermuteten Psychologen, bedeutete das Angurten eine dauernde Mahnung an die Möglichkeit, in einen Unfall verwickelt zu werden. Und zudem: Wer jahrelang unfallfrei gefahren ist, benötigt kein Sicherheitssystem.
Und während Sony mit dem „Betamax“ das erste Heim-Videosystem herausbringt, sorgen die Deutschen, trotz schlechter Wirtschaftslage und hohen Arbeitslosenzahlen, für Rekordumsätze in der Reisebranche. Die Bürger trinken 148 Liter Bier und rauchen 2015 Zigaretten pro Jahr und pro Kopf. 78% der Bevölkerung hat Übergewicht.
Und was ist in dieser Zeit bei Benromach passiert?
Zurück zum Whisky. Die Benromach-Brennerei war zwischendurch geschlossen. Von 1983 bis 1998 standen die Maschinen still, aber einige wenige Fässer durften in den Lagerhäusern in dieser Zeit weiterreifen und die Aromen aus dem Holz saugen. Seit der Wiedereröffnung wird wieder ein hervorragender Speyside-Whisky mit einem Hauch von Torf gebrannt.
Dieser 45 Jahre alte Single Malt hat keinerlei Rauch und reifte in Sherryfässern. Präsentiert wird er in einer edlen Dekanterflasche und einer schönen Holzbox, die an die traditionellen Washbacks erinnern soll, welche noch heute verwendet werden. So weit so stilvoll für einen Whisky in dieser Preisklasse. Aber was bietet der Whisky fürs Geld? Patrick und ich durften ihn verkosten und möchten hier unsere Eindrücke schildern.
Distille: Benromach
Abfüller: Originalabfüllung
Typ: Single Malt
Land / Region: Schottland / Speyside
Alter: 45 Jahre
Abgefüllt: 2020
Fasstypen: Sherry Casks
Alkoholgehalt: 42,1%
Kühlfiltrierung: Nein
Färbung: Nein
Preis: 995,- Euro
Whiskybase ID: 168829
Auge / Anblick, Farbe:
Bernstein.
Nase / Geruch, Aroma (0 – 10): 9
Wie man es von einem Whisky, der 45 Jahre lang in Eichenfässern schlummerte, erwarten kann, kommen einem Aromen von altem Holz aus dem Glas entgegen. Erstaunlicherweise aber auch ein gerade frisch gepflückter, dunkelroter, reifer und saftiger Apfel. Eine Schale von diesen frischen Äpfeln legen wir in einen alten Küchenschrank. Dort steht ein Glas gold-gelber, flüssiger Blütenhonig, dessen Duft aus dem Schrank strömt. Eine Bienenwachskerze steht neben aufgeschnittenen Orangen und duftenden Johannisbeeren. Das ganze wird von einer mostigen Weinnote und prägnanten Sherryaromen getragen. Das wirkt insgesamt wirklich alt, aber keinesfalls muffig. Die Nase macht schon mal viel Freude.
Mund / Geschmack, Körper, Konsistenz (0 – 10): 9
Nach 45 Jahren hat sich der Alkoholgehalt auf 42,1% reduziert – ölig und angenehm fließt schon der erste Schluck über die Zunge. Der Whisky ist im Antritt leicht würzig, dann wunderbar vollmundig und bietet Aromen von Schokolade und süßen Malzbonbons. Am Gaumen wird es etwas bitterer und es schmeckt nach Kakao und Espresso, dazu etwas frische Haselnuss. Die alten Eichenholznoten begleiten das Geschmackserlebnis subtil und dezent. Gradlinig und ehrlich.
Rachen, Speiseröhre, Magen / Abgang, Nachklang (0 – 10): 8,5
Der Abgang entwickelt sich, getragen von den würzigen Holznoten, trocken werdend und langanhaltend.
Preisleistung (0 – 10): 6
Einen solchen Whisky nach seiner Preisleistung zu bewerten ist eigentlich fast unmöglich. Einerseits kann man die aufgerufenen knapp 1.000 Euro für einen Single Malt in dieser Altersklasse heutzutage fast als Schnäppchen bezeichnen. Andererseits gibt es für ein Fünftel dieses Betrages, was immer noch sehr viel Geld ist, ebenso tolle Whiskyerlebnisse zu erwerben. Die Rahmendaten und Fakten geben aber den Ausschlag für immerhin 6 Punkte.
Gesamtbewertung (0 – 10): 8,5
Dieser richtig alte Whisky hat sich eine gewisse Ursprünglichkeit bewahrt. Alte Fässer, altes Holz, Sherrynoten die gradlinig, nicht aufgesetzt daherkommen und damit ganz im Kontrast zu den vielen aktuellen Abfüllungen, die mit Sherryfinishes alles in kurzer Zeit aus einem Fass saugen, steht. Das macht das Erlebnis durchaus zu etwas besonderem. Ein Whisky aus einer anderen Zeit, in die man genüsslich mit diesem ausgewogenen Tropfen eintauchen kann.
Vielen Dank für dieses einzigartige Erlebnis an Schlumberger für die kostenlose Zusendung dieser besonderen Kostprobe. Solch eine Verkostung ist eine schöne Belohnung und Ansporn für diesen Blog, unsere Meinung dazu wird aber nicht beeinflusst.