Kommen wir zu einem Whisky, der erst einmal so gar nichts mehr von dem hat, was sich der geneigte Whiskyliebhaber wünscht. Keine Altersangabe (mehr), Färbung, Kühlfiltrierung, Lagerung in seasoned Fässern und – der Aufreger schlechthin – eine überdimensionale Preissteigerung. Und trotzdem hat er den Weg in mein Glas gefunden. Warum? 4 Gründe.
Erstens, weil mein Freund Harald ihn zu einem Treffen mitgebracht hat. Und ich mir, nachdem ich ihn bei dieser Gelegenheit bereits im Glas gehabt hatte, eine kleine Probe davon habe abfüllen dürfen. Herzlichen Dank mein Lieber!
Zweitens, weil ich mir stets gerne selber eine Meinung bilde. Und da ich ein seltsamer Vogel bin, weicht diese manchmal ab von der Mehrheitsmeinung. Die ich aber sehr schätze. Und zu der ich auch mehr als bereitwillig beitrage, wenn ich keine abweichende Auffassung habe.
Drittens, weil ich ein großer Freund von Lagavulin bin. Ihre Abfüllungen treffen einfach häufig meinen Geschmack. Der Lagavulin 16 ist für mich nach wie vor das Maß aller Dinge im Bereich der Standards. Trotz des gewaltigen Preisanstiegs, den ich natürlich auch bedauere.
Und viertens, weil ich die verschiedenen Distillers Editions mag, beziehungsweise bisher nicht selten mochte. Über die Jahre haben da eine ganze Menge von zu uns gefunden. Und wurden meistens doch sehr genussvoll ihrer Bestimmung zugeführt.
Doch nie hatte es eine Distillers Edition bei mir wohl vorab so schwer, wie diese des Lagavulins aus dem Jahr 2022. Warum? Die gründe dürften den meisten bekannt sein. Die Altersangabe ist verschwunden und die Preissteigerung war einfach zu ausgeprägt.
Aber, letztlich ist und bleibt das unsere Devise hier, wir trinken keine Rahmendaten. Auch nicht deren Veränderung. Oder Farbe oder Jahre. Wir trinken Whisky. Werfen dabei zwar einen durchaus immer wieder kritischen Blick auf die Rahmendaten und deren Veränderung, aber letztlich geht es uns um die 3 großen G, Geruch, Geschmack und Genuss. Wie schneidet er also bei diesen ab, der Lagavulin The Distillers Edition – 2022?
Rahmendaten:
Whisky: Lagavulin The Distillers Edition – 2022
Destillerie: Lagavulin
Abfüller: Lagavulin / Originalabfüllung
Typ: Single Malt
Land / Region: Schottland / Islay
Alter: NAS / keine Altersangabe (abgefüllt am 26.09.22)
Fasstypen: Amerikanische und Europäische Eiche (Refill), PX Sherry Fässer (seasoned), Amerikanische Eiche (nachgekohlt)
Serie: The Distillers Edition
Alkoholgehalt: 43 %
Kühlfiltrierung: Ja
Färbung: Ja
Preis: 120 Euro
Whiskybase ID: WB221001
Auge / Anblick, Farbe:
Nase / Geruch, Aroma (0 – 10): 8
Los geht es nach dem Einschenken mit einer fleischigen Raucharomatik. Die direkt von maritimen Noten, vornehmlich Jodsalz und einer sehr eleganten Honigsüße unterstützt wird. Würzig ist das Ganze hintergründig unterlegt von Leder und Schuhcreme. In der Süße findet sich eine Note von Kaugummi. Und zwar demjenigen, den man in Tuben kaufen konnte, um ihn herausdrücken zu können. Den Namen weiß ich nicht mehr. 2 Dinge sind leicht störend. Erstens eine minimale Andeutung von Seetang und Algen. Und zweitens eine zu gering ausgeprägte Aromendichte. Aber der Malt entwickelt sich durchaus im Glas und findet zu einem aromatischen Gesamteindruck, der zum einen auch Vanille und Röstaromen umfasst, zum anderen sehr stimmig wird. Mir gefällt das einfach. Rauh und doch elegant. Ungestüm und doch harmonisch. Je mehr Zeit man ihm gibt, desto mehr kommt zum Vorschein. Später auch ein wenig Eiche, Kakao, Rosine und Apfelsine. Alles ohne Bitterkeit und ohne Säure. Ich bin positiv eingenommen, die 8.
Mund / Geschmack, Körper, Konsistenz (0 – 10): 8
Ein zurückhaltender Antritt, der zunächst mit süßem Rauch aufwartet. Milchschokolade, Honig, Kakao und ein Lagerfeuer kommen in einer herrlich schweren, öligen Textur daher und verwöhnen Gaumen und Zunge. Zu der wunderbaren, alles beherrschenden Süße kommen leicht würzige Aromen von Eiche, Tabak, Salz und Leder. Allerdings nur minimal und angedeutet. Der Rauch bekommt etwas barbecueartiges. Apfelsine, Erdbeere und Kirsche machen leichte Fruchteindrücke, bringen eine frische Süße. Die Alkoholeinbindung ist perfekt. Und nein, 3 % mehr hätte er nicht gebraucht. Der ist trotz der 43 % genau so gut, wie er ist. Die Textur ist schön cremig. Der Körper ist voluminös. Das ist und bleibt mein Beuteschema, die 8.
Rachen, Speiseröhre, Magen / Abgang, Nachklang (0 – 10): 8
Ein mittellanger Abgang mit Rauch, Salz, Milchschokolade, sowie spät Erde und Barbecue. Finde ich auch super, die 8.
Preisleistung (0 – 10): 7
Was wir hier bewerten, ist die Preisleistung. Nicht die Preisentwicklung. Letztere würde von mir eine 0 bekommen. Wie ist der Lagavulin The Distillers Edition – 2022 für 120 Euro nun in Relation zu seiner Leistung? Gar nicht so schlecht, lautet meine Antwort. Ja, für das Geld bekommt man weitaus bessere Rahmendaten. Aber schmecken die auch besser? Da habe ich genügend Gegenbeispiele hier stehen. Wenn ich lediglich die 3 großen G zum Maßstab erhebe, also Geruch, Geschmack und Genuss, dann kann ich hier guten Gewissens die 7 geben.
Was heißt das nun genau? Mein Freund Harald hat bei einem Angebot für knapp über 80 Euro zugegriffen. Sollte ich ein solches mitbekommen, werden 2 Flaschen davon bei mir landen. Unter 100 Euro wird sich eine Flasche zu mir auf den Weg machen. Für 120 Euro bleibe ich doch noch etwas zurückhaltend mit dem Kauf.
Gesamtbewertung (0 – 10): 8
Wir haben es hier weder mit einem extrem komplexen Whisky zu tun, noch mit einer absoluten aromatischen Besonderheit. Aber eben doch mit dem, was ich einen wirklich guten Whisky nennen möchte. Und der Lagavulin The Distillers Edition – 2022 ist sehr gefährlich süffig. Auf der Süffigkeitsskala sogar die Bestnote, eine glatte 10.
Nun darf man natürlich argumentieren, dass einem das niemals so viel Geld wert ist. Und, dass man eine Reihe besserer Alternativen kennt, die ähnliche gute Süffigkeitswerte bei halben Preis erreichen. Mir fallen da aber gar nicht mehr so viele ein. Einen solchen Whisky muss man erst einmal machen.
Fazit:
In der Whiskybase wird der Lagavulin The Distillers Edition – 2022 mit rund 86,5 Punkten bewertet. Dabei finden sich eine ganze Menge von Enttäuschung getragene Beurteilungen, deren Kernaussage ich so nicht nachvollziehen kann. Serge sieht ihn bei 86 Punkten. Und ich? Ich gebe ihm 88 Punkte. Eine hohe Bewertung. Die ich in der Güte der Aromen begründet sehe.
Viele Whiskyliebhaber wollen den Lagavulin The Distillers Edition – 2022 aus Protest gegen die Preispolitik bei Diageo nicht mehr trinken oder gar kaufen. Mir ist das ganz recht. Es steigert meine Chancen ihn einmal im Angebot zu bekommen.
Freunde, die in der Whiskyproduktion tätig sind, konstatieren, dass der Schritt die Distillers Edition ohne Altersangabe herauszubringen, selbstverständlich darin begründet sein wird, auch junge Fässer damit an den Mann bringen zu können.
Dem ist sicher so. Allerdings bezahlt man eben auch für sehr junges Gemüse mittlerweile richtig viel Geld. Leider. Und auch mit jungen Fässern lassen sich hervorragende Whiskys blenden oder vatten. Letztlich folge ich der Argumentation meines Freundes Harald. Beim Übergang von Age Statement auf Non Age Statement, bei zeitgleichem Preissprung, kann man nicht auch noch die Qualität durch zu viel Jugendlichkeit gefährden.
Nun, der eine riecht und schmeckt im Lagavulin The Distillers Edition eben diese Jugendlichkeit jetzt schon. Oder mangelnde Tiefe. Ich nicht. Kurios an ihm ist allerdings, dass er eindeutig Zeit braucht im Glas. Und dann nicht zu einem überkomplexen Whisky, sondern zu einem unfassbar gefährlich leckeren Malt wird. Am Besten bildet Ihr Euch selber eine Meinung. Viel Freude dabei.