Das erste Mal
Jeder kennt es. Man steht irgendwo in der Schweiz im Nirgendwo, auf einem Wanderweg in mitten der Berge umrahmt von einem Postkartenidyll und plötzlich läuft jemand an einem vorbei, der mit einem leeren Kanister in der Hand Whisky abfüllen geht. Nicht? Na gut, für uns war es auch das erste Mal.
Die Reise
Pfingsten war es. Der passende Zeitraum um unsere alljährliche Herrentour anzugehen. Und da einer der Teilnehmer mittlerweile in der Schweiz beheimatet ist, ging es diesmal eben zu den Eidgenossen. Nach der verkürzten Arbeit ging es also Freitags los und nach rund 7 Stunden Autofahrt kommen wir im Weiler Wasserauen im Kanton Appenzell Innerrhoden an. Wir sind alle relativ ahnungslos, was uns auf der Reise erwartet, denn die Organisation haben wir vertrauensvoll unserem Schweizer Freund überlassen.
Ahnungslosigkeit als Lebenskonzept
Ohnehin ist die Ahnungslosigkeit ja ein völlig unterschätztes Lebenskonzept. Wissen, Aufklärung und Bildung hingegen sind überbewertet in diesen verwirrenden Zeiten. Wir staunen also nicht schlecht, als wir feststellen, dass das Gasthaus, die Alpenrose in Wasserauen, einen eigenen Whisky auf der Karte anbietet.
Säntis Malt und Brauerei Locher
Uns ist zwar klar, dass der Säntis Malt in unmittelbarer Nähe von uns in der Brauerei Locher in dem Dorf Appenzell gemacht wird, aber passend zur Ahnungslosigkeit umfasst unser Lebenskonzept auch die Planlosigkeit. Daher hatten wir viel zu spät wegen einer Führung angefragt und so war dieser Programmpunkt zu einem fakultativen geworden. Irgendwie schade, war der Säntis Dreifaltigkeit, ein stark rauchiger Whisky, der durchaus Polarisierungspotential mitbringt, doch auch einmal Teil eines internationalen Tastings von uns Whiskygraphen gewesen.
Alpenrose
So sitzen wir also nach der Ankunft am Tisch im Gasthaus Alpenrose. Die Freude mal wieder zusammenzukommen und insbesondere den Schweizer Freund zu sehen ist groß. Wir entscheiden, dass das Wetter entscheiden wird, was wir wann machen. Die Auswahl ist dabei übrigens erstaunlich groß, wie ich finde. Anders als bei meiner Schottlandreise im Frühjahr, einen Bericht findet man hier, geht es bei diesen Herrentouren nur am Rande um Whisky, eigentlich.
Edition Alpenrose und Whiskytrek
Doch fällt uns eine Karte in die Hände und wir bestellen selbstverständlich die Edition Alpenrose aus dem Hause Locher, einen Säntis mit 50% Alkoholgehalt, der nach 5 Jahren Lagerung in Bierfässern würzig und fruchtig daherkommt. Und die sympathische Wirtin gibt uns Auskunft über den Whisky und den Whiskytrek. Viele Gasthäuser, Restaurants und Alpenhütten im Appenzeller Land haben ihr eigenes Fass Whisky. Und diese kann man sich auf dem Whiskytrek erwandern.
Appenzeller Whiskytrek
Insgesamt sind es 26 Berggasthäuser, die jeweils eine eigene limitierte Abfüllung anbieten. Bei verschiedenen Wandertouren kann man diese vor Ort im offenen Ausschank probieren und auch erwerben. Angeboten werden 10cl Fläschchen, aber auch die üblichen 0,5l Flaschen. Für den Sammler werden auch Bon-Hefte angeboten, die Preisvorteile bieten. Wer alle 26 Abfüllungen erwandert hat, kann diese in einem edlen Sammlerrahmen aufbewahren und erhält zusätzlich eine Finisher-Trophäe. Nähere Auskünfte über die Möglichkeiten, die der Whisky Trek bietet, finden sich zum Beispiel auf der Seite myswitzerland.com oder in einem frei zugänglichen Artikel des The Highland Herold mit dem Titel „Sich regen bringt Segen“ aus der Feder von Julia Nourney.
Julia Nourney
Julia hatte ich erst vor kurzem in Thüringen bei einem großartigen Treffen auf der Burg Scharfenstein, wo es eine sehr empfehlenswerte Whiskywelt zu erleben gibt und überdies der Nine Springs gelagert wird, einen Artikel dazu gibt es hier, kennenlernen dürfen. Seitdem stehe ich mit der berufsbedingten Weltenbummlerin, sie bietet Beratung im Bereich Spirituosen rund um den Globus an, in Austausch.
Bücher
Im Gasthaus Alpenrose fällt uns dann auch ein kleines Büchlein in die Hände, in dem alle 26 Abfüllungen mit Tasting Notes präsentiert werden. Und natürlich hat Julia diese verfasst. Ich sende ihr dann auch prompt eine Nachricht und sie antwortet aus Sinsheim, wo sie in Sachen Gin unterwegs ist. Es war Julia, die die Fässer für den Whiskytrek ausgesucht hat und eng mit der Brauerei Locher in Verbindung steht, wie ich erfahre. Und sie hat nicht nur diese Notes verfasst, sondern auch mit Tom Wyss das Buch „Whisky Trails Schweiz“.
Erste Nacht und erster Morgen
Nachdem wir die schönen, geräumigen und sauberen Zimmer des Gasthauses bezogen hatten, ging es ins Bett. Am Morgen wurden wir vor dem Wecker von Kühen geweckt, deren Glockengeläut und Gemuhe genau das richtige sind, um in einen sonnigen Tag in der frischen Alpenluft zu starten. Nach dem Frühstück also einige Einkäufe in Appenzell erledigen und dann die erste Wanderung.
Edition Himmelberg am Kronberg mit Blick auf den Säntis
Nach einer Fahrt mit einer Sommerrodelbahn ging es dann mit der Luftseilbahn auf den Kronberg. Im Supermarkt hatten wir eine Edition Himmelberg erstanden. Der Säntis ist mit 43% abgefüllt und erstaunlicher Weise nicht kühlfiltriert und nicht gefärbt. Mit Blick auf den Säntis haben wir direkt ein Gläschen davon genossen, auch wenn er nach einem anderen Gipfel benannt ist. Die 2 Jahre Bierfasslagerung und die 2 weiteren Jahre in Sherry-, Port- und Merlotfässern kommen durchaus raus. Süß und würzig ist er. Genauer hat ihn Pat Hock auf Nachfrage von Daniel Bläser auf seinem Youtube-Kanal besprochen.
Die Wanderung
Unsere anschließende Wanderung nach Appenzell runter war unkompliziert und schön. Toll ist die Möglichkeit an verschiedenen Stellen auf dem Weg zu grillen. Man legt einfach das Mitgebrachte auf und hat dabei Gelegenheit andere Wanderer kurz kennenzulernen. Wirklich sehr nett. Tolle Natur, tolle Menschen.
Orientierung in Appenzell und Literatur
Etwas unschlüssig, wo wir denn in Appenzell unser Abendmahl einnehmen würden, vagabundierten wir ziellos durch das Dorf, denn neben Ahnungs- und Planlosigkeit gehört als dritte Säule unseres Lebenskonzeptes auch die Ziellosigkeit zu den tragenden 5 Grundpfeilern unserer Lebensphilosophie. Dabei stolperten wir auch in den kleinen Frühling, oder einen Teil davon. Ein Kunst- und Literaturfestival, über das auch der SRF1 in seiner Sendung Kulturplatz informierte. Meiner Affinität zur Literatur, die sich unter anderem auch in einem Artikel über Whisky und Literatur, den es hier gibt, ausdrückt, wäre ich da schon gerne nachgegangen.
Abendessen und Whiskylikör
Auf unserem Wanderweg von Kronberg nach Appenzell hatten wir es tatsächlich geschafft, wie wir erst später bemerkten, in ein Gasthaus einzukehren, dass auch Teil des Whiskytreks ist. Allerdings war uns dies nicht aufgefallen und so blieb die Edition Kaubad von uns unverkostet. In Appenzell genehmigten wir uns ein gutes Essen und verkürzten unsere Wartezeit auf den Bus mit einem Whiskylikör mit Aprikose von Säntis. Auch nicht schlecht.
Ausklang Tag 1 und Start Tag 2
Der erste Tag konnte dann abends im Gasthaus Alpenrose gemütlich ausklingen. Der zweite Tag begann mit ebenso herrlichem Wetter wie der erste. Strahlender Sonnenschein und da auch die Muskulatur der Beine noch nicht streikte hieß das wieder wandern. Ein wenig Sorgen machte uns nur ein Teilnehmer, nennen wir ihn Hagen, dessen Rücken nicht so wollte, wie wir. Die überaus freundlichen Gastwirte der Alpenrose halfen mit Wanderstöcken aus. Nach dem Frühstück machten wir uns also an den Aufstieg.
Gottesdienst am Seealpsee
Diesmal ging es vom Gasthaus Alpenrose direkt los hinauf zum Seealpsee. Der Aufstieg ist zwar steil, aber verhältnismäßig einfach, da der Weg über eine geteerte Straße geht. Oben angekommen landeten wir mitten in einem Pfingstgottesdienst unter freiem Himmel. Eine tolle Erfahrung mit einer gelungenen Predigt und begleitet von Alphörnern. Innerlich musste ich doch ein wenig schmunzeln. Dass Whisky durchaus zu den spirituellen Aspekten der Religionen passen kann, stellt Wolfgang Rothe mit seinem Wirken und seinen Werken immer wieder für das Christentum unter Beweis, aber mich findet man doch eher selten im Gottesdienst. Ein schönes Interview mit Wolfgang gab es erst kürzlich im Deutschlandfunk in der Sendung Tag für Tag zu hören. Es findet sich auch in der Mediathek.
Berggasthäuser am Seealpsee
Nach dieser unerhörten Anstrengung mussten wir dann erst einmal wieder zu Kräften kommen. Es bot sich das Berggasthaus Forelle an. Auf der herrlichen Terrasse sitzend konnten wir so die Edition Forelle genießen, einen Single Malt mit 51,3 % Alkoholgehalt, der 2 Jahre in Bierfässern und 3 Jahre in einem Ruby Port Fass gelagert hat. Auch wirklich sehr gut trinkbar. Ausgelassen haben wir hingegen die Edition Seealpsee. Und das ist rückblickend doch sehr bedauerlich, handelt es sich doch um einen Whisky, der nach 2-jähriger Bierfasslagerung 3 Jahre in Cognacfässern nachreift.
Kühe und Käse
Auf dem Weg zu einer Käserei, wo wir selbstverständlich die Gelegenheit nicht verstreichen lassen wollten, uns mit den örtlichen Spezialitäten einzudecken, freundete ich mich mit einer Kuh an. Und wie Hagen treffend bemerkte, spielte ich ein wenig blinde Kuh mit ihr. In der Käserei gab es einen milden und einen würzigen Vertreter, beide großartig, beide mussten mit.
Ratlosigkeit
Nach dem Abstieg vom Seealpsee waren wir etwas unschlüssig, wie wir den Rest des Tages ausklingen lassen sollten. Aber die Ratlosigkeit, ebenfalls ein Freund von uns, schlug rasch in blinden Aktionismus um – und das ist durchaus wörtlich zu nehmen. So entschieden wir mit der Luftseilbahn noch auf die Ebenalp zu fahren. Wir würden es noch schaffen die Edition Ebenalp im dortigen Berggasthaus zu verkosten, abzusteigen und dann rechtzeitig vor Schließung der Küche noch etwas in der Alpenrose zu essen.
Berggasthaus Ebenalp
Teil 1 des Vorhabens konnte perfekt umgesetzt werden. Die Edition Ebenalp ist eine 2-jährige Bierfasslagerung, die 3 Jahre in Merlotfässern nachreifen durfte. Ein ebenfalls guter Malt. Das Gasthaus war mit einem kurzen Aufstieg von der Station der Luftseilbahn aus recht problemlos zu erreichen gewesen. Wir waren noch etwas unschlüssig, ob wir die letzte Luftseilbahn zurück nach Wasserauen nehmen sollten, oder ob wir tatsächlich den Abstieg zu Fuß wagen sollten. Das Wetter war ebenso unentschieden wie wir und so nahmen 2 die Luftseilbahn und 4 machten sich an den Abstieg per pedes.
Orientierungslosigkeit
Und auch eine weitere unserer Tugenden sollte uns zu pass kommen, die Orientierungslosigkeit. Es gibt verschiedene Möglichkeiten den Abstieg von der Ebenalp zu gestalten. Wir hatten vor, eine relativ schnelle Variante in Angriff zu nehmen, damit wir noch etwas zu essen bekommen würden. Das hat dann nicht ganz funktioniert.
Durch den Berg
Der Weg abwärts führte uns mitten durch den Berg, eine traumhafte Landschaft und himmlische Ruhe. Bis ein Bergfahrzeug hinter uns auftauchte. Wir staunten nicht schlecht. Wir hatten mittlerweile begriffen, dass wir eine Route eingeschlagen hatten, die uns auch noch am Berggasthaus Aescher und dem Wildkirchli, also einer Kapelle im Stein, vorbeiführen würde. Die Herren mit dem Bergfahrzeug erklärten uns, dass sie über die Luftseilbahn beliefert worden waren. Klar, irgendwie mussten das Berggasthaus Ebenalp und das Berggasthaus Aescher schließlich versorgt werden.
Früchte der Orientierungslosigkeit
Wir hatten uns gerade entschieden die Früchte der Orientierungslosigkeit auch zu ernten und die Edition Aescher ebenfalls noch zu probieren, da kam uns einer der Herren, die mit dem Bergfahrzeug unterwegs gewesen waren entgegen, mit einem leeren Kanister in der Hand. Auf nachfragen, warum er es so eilig habe und wo es hing ginge, erklärte er, dass er Whisky holen müsste. Es macht sich schon eine gewisse Fassungslosigkeit breit, wenn Du mitten in der Natur fern der Zivilisation stehst und Dir so etwas passiert. Wie wahrscheinlich ist das bitte?
In der Whisky-Höhle
Er hatte nichts dagegen uns mitzunehmen. Und so landeten wir in einer Höhle im Fels, die dem Berggasthaus Aescher als Lager dient. Und hier lagert auch das aktuelle Fass, aus dem mit einem schlauchartigen Etwas, ein Valinch würde ich es nicht nennen, der Kanister befüllt wurde. Wir bekamen auch die Gelegenheit direkt aus diesem Schlauch einen Tropfen des Whiskys probieren zu dürfen. Wirklich einmalig.
Berggasthaus Aescher
Aus der Whisky-Höhle ging es dann wieder weiter durch die Wildkirchlihöhle abwärts zum Berggasthaus Aescher, wo die Edition Aescher, über Fass, Kanister und Flasche schließlich bei uns in den Gläsern landete. Ebenfalls rund 50% und nach 4 Jahren Bierfasslagerung ein einjähriges Finish im Pinot-Noir-Fass. Und das überzeugt mich dann alles dermaßen, dass ich eine Flasche davon mitnehme.
Ein stufenweiser Abstieg
Den sich anschließenden Abstieg nach Wasserauen könnte man durchaus als schön, aber auch leicht stressig bezeichnen. Ich habe keine Ahnung, nach welchen Kriterien die Wanderwege auf den Karten in verschiedene Schwierigkeitsstufen eingeteilt sind, aber blind war dieser Weg nach unten schon eine gewisse Herausforderung. Was da alles angesagt wurde an Stufen: hohe, flache, tiefe, breite, enge, unebene, schräge, nasse, glatte, Steinstufen, Wurzelstufen, Geröllstufen, Erdstufen, Grassstufen, Baumstufen und was weiß ich noch alles.
Wieder in der Alpenrose
Als wir endlich doch wieder unten waren, sagte mir Patrick, der mich gerade führte, die Stufen vor dem Eingang des Berggasthauses an und ich erwiderte nur, dass er doch die Fresse halten sollte. Unsere Wirte waren so freundlich, obgleich wir erst 2 Stunden nach eigentlichem Küchenschluss auftauchten, uns noch eine köstliche warme Mahlzeit aufzutischen.
Letzte Nacht und Abfahrt
Nach einer letzten Nacht in unseren schönen Zimmern und dem Begleichen der Rechnung ging es dann wieder zurück in die Whiskygraphschaft. Die Wirte des Berggasthauses Alpenrose schenkten uns zum Abschied sogar die Wanderstöcke für Hagen. Dafür, wie auch die vorzügliche Bewirtung unser herzlicher Dank!
Fazit Whisky und Whiskytrek
Grundsätzlich kann man jedem whiskyaffinen Menschen, der auch die Natur, die Berge, den Genuss mit allen Sinnen und freundliche Zeitgenossen zu schätzen weiß, den Whiskytrek im Appenzeller Land empfehlen. Überall wurden wir herzlich und freundlich empfangen, überall gab es einiges an Spezialitäten zu genießen und entdecken. Die Whiskys sind gut und sie zu erwandern ist ein Erlebnis.
Fazit Reise
Unser alljährlicher Herrenausflug war wie immer großartig. Meinen Begleitern darf ich meinen tiefen Respekt aussprechen. Insbesondere den Abstieg von der Ebenalp nach Wasserauen hätte wohl nicht jeder mit einem Blinden im Schlepptau mitgemacht. Das war doch nicht nur für mich ein wenig stressig. An manchen Stellen brauchte ich tatsächlich die Führung und Sicherung von allen 3, die auf dem Weg dabei waren. Und wir taten wohl auch ganz gut daran ein wenig Vorsicht walten zu lassen. In der Woche nach unserer Reise ist ein Wanderer auf dieser Strecke leider tödlich verunglückt.
Fazit Lebenskonzept
Mit einem Lebenskonzept aus Ahnungslosigkeit, Planlosigkeit, Ziellosigkeit, Ratlosigkeit und Orientierungslosigkeit sollte man es wohl nicht zu weit treiben. Es vermag immer wieder Überraschungen parat zu halten, aber es kann auch gefährlich sein. Und doch halte ich es mit Friedrich Nietzsche: „Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.“ Nicht umsonst hat der zeitgenössische neapolitanische Philosoph Luciano De Crescenzo dieses Zarathustra-Zitat Nietzsches seinem Werk „die Kunst der Unordnung“ vorangestellt. Ob in Ordnung oder Unordnung, genießt sicher.