„No – there is no Wifi here!
Pretend it´s 1970 and talk to each other.“
Das steht auf dem Schild über der Theke im Glenshee Ski Centre in den Cairngorm Mountains und wir sind auf dem Weg in den Süden. Unser nächstes Ziel ist Pitlochry.
„Sag mal, wir sind auf dem Weg nach Pitlochry. Ich habe gesehen, da gibt es zwei Destillen: Edradour und Blair Athol. Eine wollen wir besuchen. Hast Du einen Tipp für uns?“, frage ich einen lieben Freund und erhalte prompt Antwort.
„Ganz klar, Edradour – keine Frage – das war oder ist die kleinste Destille in Schottland. Die Gelegenheit dürft Ihr Euch nicht entgehen lassen! Und wenn die Zeit reicht, nehmt Blair Athol auch noch mit, auch das lohnt sich.“
Das Navi leitet uns, noch bevor wir Pitlochry selbst erreichen, durch eine hügelige Landschaft. Die kleine Straße endet schließlich auf dem Firmengelände der Edradour Distillery, und es bereits Nachmittag, als wir auf den Parkplatz gegenüber einer großen Lagerhalle fahren.
Von dort sind es nur wenige Schritte zum Visitor Center, und gleich ist man in einer anderen Welt. Über das leicht ansteigende Gelände fließt ein Bach. Gesäumt von einem roten und einem weißen Geländer führt ein asphaltierter Weg an der Destille vorbei Richtung Mälzerei, dem Malt Barn. Auch diese Gebäude strahlen in weiß und haben rot gestrichene Tore.
Wir gehen zunächst ins Visitor Center, die nächste Führung beginnt bald. Wir zahlen und schließen uns an.
Unser Guide, ein junger Mann im Kilt führt uns den beschriebenen Weg hinauf Richtung Malt Barn. Als wir die Destille passieren, steht vor einem Fenster ein Anhänger mit Maische und der typische Geruch, den man auch aus deutschen Brauereien kennt, macht sich breit. Das Bild ist so stark – man könnte meinen, es sei für die Touristen inszeniert.
Auf dem weißen Gebäude ist ein dunkles Holzschild mit der Aufschrift „Edradour Distillery“. Davor steht ein blauer landwirtschaftlicher, einachsiger Anhänger auf dessen Ladefläche duftende Maische gehäuft ist.
Dazu später mehr, denn erstmal geht es ja in den Malt Barn. Wie die meisten Destillen mälzt auch Edradour nicht mehr selbst. Im Inneren finden wir nun einen großen, toll hergerichteten Raum vor, in dem unsere Gruppe an mehreren Tischen verteilt Platz nimmt.
Auch hier sehen wir ein Firmenvideo und neben Historischem gibt es auch Wissenswertes zur Whiskyproduktion zu sehen. Und auch im Film ist er wieder zu sehen – der Anhänger vor dem Fenster. Nach dem Video beantwortet unser Guide geduldig Fragen. Die anderen Mitglieder sind, wie sich herausstellt, zufällig auch alles Deutsche, überwiegend Lehrerehepaare – wahrscheinlich Englischlehrer, denn ich wurde einfach den Eindruck nicht los, dass die Damen und Herren sich gegenseitig mit schlauen Fragen übertrumpfen wollten.
Bemerkenswert ist, dass hier tatsächlich je Woche nur 12 Fässer Destillat hergestellt werden. Erst mit der im Bau befindlichen Erweiterung wird sich das Volumen mehr als verdoppeln.
Und nun passiert etwas ungewöhnliches – es gibt das kleine Tasting bereits jetzt, also quasi zu Beginn der Führung. Zwei Flaschen und Wasser stehen bereits auf dem Tisch.
Der Edradour schmeckt köstlich und wir erfahren, das Edradour Hoflieferant des House of Lords ist. Der Edradour 10 ist das Hauptprodukt des Hauses – aber in den Wintermonaten wird auch ein Whisky mit Rauch produziert, der Ballechin 10. Den gibt es als nächstes. Und als ob ich es geahnt hätte, der trifft unseren Geschmack noch besser. Irgendwie ergibt es sich doch recht schnell – wir sind erst seit kurzem etwas differenzierter in Sachen Whisky unterwegs – dass man Tropfen mit Ecken und Kanten bevorzugt. Davon nehmen wir eine Flasche mit – so viel ist klar.
Und – wir freuen uns – die Edradour-Gläser dürfen wir behalten!
Für „die Ladies“ gibt es, wenn sie möchten, alternativ einen Whiskylikör, der ein neues Produkt des Hauses zu sein scheint. Wir haben ihn nicht gekostet, diejenigen, die probiert haben, sind aber sehr angetan.
Dann geht es weiter. Man erkennt nun gut, dass man im Malt Barn ist – nicht nur die Dachform außen ist typisch – im Innern blieb der Ofen erhalten.
Als nächstes – verkehrte Welt – geht es ins Fasslager, erfahrungsgemäß letzte Station vor dem Tasting – nun gut, wir sind flexibel. Eines der roten Tore öffnet sich für uns, wir treten ein und links und rechts des Gangs stehen sie, fein säuberlich gestapelt, die Fässer. Die Aufschriften verraten u.a. etwas über das Jahr der Einlagerung und an der Farbe des Holzes erkennen wir, das unterschiedliche Fässer zum Einsatz kommen. Die hellen Fässer seinen Bourbonfässer, die dunklen z.B. Sherryfässer. Und ja, es sei schwierig geworden gute Fässer in ausreichender Zahl zu bekommen, seitdem Whisky einen stetig steigenden Boom erlebt. Schließlich bekommt der edle Tropfen ja erst durch das Finish in den Fässern, die Aromen abgeben, seinen eigenen Charakter.
Draußen steht am Wegesrand ein alter Kondensator, von dem ich schnell ein Bild mache. Wir betreten das Still House von hinten und passieren so die Außenbecken, in denen die Kondensatoren stecken, die aktuell im Einsatz sind.
Und auch die Tür, durch die wir das Still House schließlich betreten, ist rot und wir kommen quasi im ersten Stock an, dort, wo die rot lackierte Mühle steht.
Aber nicht nur die Mühle, auch etliche riesige Säcke, Big Packs mit Malz stehen hier. Wir können eine Handvoll nehmen, schnuppern, kosten. Wir bekommen noch mal erklärt, dass der Mahlgrad wichtig ist. Nicht zu fein, dann lassen sich Maische und Flüssigkeit schlecht trennen und nicht zu grob, denn dann lösen sich die gewünschten Inhaltsstoffe nicht gut aus dem Schrot.
Das gemahlene Getreide kommt von hier in den Maischbottich, der in der Etage darunter steht, und wird dort mit warmem Wasser versetzt. Diese süße Essenz fließt, bevor sie in die Wash Backs kommt, über eine Anlage aus Edelstahl, in der sie gekühlt wird.
Die beiden Wash Backs sind aus Holz und mit einem ebenfalls hölzernen Deckel abgedeckt. Darauf je ein blauer Motor, der das Bier, welches nun entsteht, nachdem die Hefe zugesetzt wurde, in Bewegung hält.
Ist der Zucker schließlich vergoren, kann gebrannt werden. Und hier findet sich nun das Herzstück einer jeden Destille – die Brennblasen. Nur zwei an der Zahl und im Vergleich zu denen, die ich zuvor besichtigt hatte, sind diese hier geradezu niedlich.
Der Wash (das Bier) kommt hier mit ca. 8-10 % Alkohol zunächst in die Wash Still. Das Kondensat wird dann aufgefangen und mit ca. 20-25 % Alkohol, die es nun hat, in der Spirit Still, der zweiten, weiter destilliert – fertig. …so der etwas vereinfacht beschriebene Prozess. Tatsächlich werden Destillate oft auch mehrfach zurückgeführt, gemischt und gebrannt. Head und Tail, also Vor- und Nachlauf mit scharfen Aromen müssen getrennt werden. So fließt der Vorlauf zurück zu den Low Wines des ersten Brenngangs und kommt somit später erneut in den Spirit Still. Hier reagieren nun die scharfen Stoffe des Heads mit dem Kupfer der Brennblasen. Aromen entstehen und das Heart, das Herzstück des Brennvorgangs, wird zur Abfüllung ausgeleitet. An dieser Stelle unterscheiden sich die Verfahren der verschiedenen Brennereien im Detail – und jede schwört natürlich auf das eigene.
Der Safe spielt in diesem Prozess eine große Rolle. Durch den Safe fließen die Destillate. Er ist verplombt und garantiert zum einem dem britischen Fiskus die entsprechenden Einnahmen, zum anderen ermöglicht er – durch die gläserne Bauweise – dem Stillman, das Destillat zu begutachten und die Ströme bei Bedarf umzuleiten.
Links im Bild mit dem Safe sehen wir auch einen rot-grünen Bottich und nun wissen wir auch, warum der Hänger vor dem Fenster steht. Das ist nicht inszeniert. Auf der Innenseite des Fensters, vor dem der Hänger steht, ist der Maischbottich. Hier hinein werden – wie beschrieben – Malz und heißes Wasser gegeben, damit sich Zucker und Stärke lösen. Die süße Flüssigkeit wird schließlich abgezogen und die verbleibende Maische muss raus. Das passiert auch heute noch von Hand, so wie wir es in historischen Aufnahmen im Film gesehen hatten. D.h. zwei Mann schaufeln die Maische durch das offene Fenster nach draußen. Ein Job, der, wenn überhaupt, nur im Winter beliebt ist.
Nach Ende der Führung gehen wir noch einmal in den Shop und studieren, was es hier so an exklusiven Abfüllungen gibt. Unser Freund hat sich mit diesem tollen Tipp auch ein Mitbringsel verdient.
Nun ist langsam Feierabend und mit diesen Eindrücken endet unser Besuch bei Edradour. Einen wehmütigen Blick werfe ich noch zurück auf das schöne Gelände und würde gerne noch ein bisschen verweilen. Ein bisschen zu schön wirkt es fast, fast wie im Märchenland, aber nein: hier ist alles stimmig, alles echt. Wenn jemand einmal das Heart der Whiskyherstellung erleben will, dann sei ihm ein Besuch bei Edradour empfohlen.
Hirst
Das weiße Lagerhaus beim Parkplatz ist die Erweiterung bzw. Edradour 2 und bereits seit Mai 2018 in Betrieb (nicht für Besucher zugänglich). Edradour ist mit ca. 190.000 Besucher eine der meist besuchtesten Destillerien in Schottland. Also es gibt dort keine Zufälle und Überraschungen für die Gäste, wenn man meint es ist inszeniert bzw. einstudiert, dann liegt man meist richtig. Nicht fast Märchenland – du warst im Whisky-Disneyland. Wichtig ist aber du hattest Spaß. Und der Kondensator nennt sich offiziell Wormtube.
Jahresrückblick 2019: Tops und Flops - Tastings, Messen, Reisen, Gastronomie, Events, Whiskys und Whiskeys - Whiskygraphie
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